Frühlingsprinzen

Die BILD-Zeitung veröffentlicht weitere Trennungsbriefe frustrierter Frauen.

Stellvertretend für alle Frühlingsprinzen dieser Welt fühle ich mich verpflichtet, sie zu beantworten.

Geliebter Frühlingsprinz,

mein Mann liegt neben mir und schnarcht wie eine Kettensäge. Ich habe Sehnsucht nach Deinen Augen, Deinen Händen, Deiner Stimme.


Geliebte Ofenkartoffel,
wenn er tief genug schläft, und Du mich anrufst, dann können wir es ja versuchen. Aber wird er von der Wackelei nicht aufwachen ? "Der Heizungsableser kommt" ist als Ausrede prinzipiell zwar nicht schlecht, aber wenn er abends um zehn direkt in Deinem Bett kommt, könnte das seinen Argwohn wecken. Und das wollen wir doch nicht. Jetzt, nach all den Jahren.

Ich bin wieder 13, wenn ich daran denke, wie wir uns im Kino getroffen haben, wie sich unsere Hände in der Popcorntüte getroffen haben.

Ofenkartöffelchen, Du bist jetzt 44 Jahre alt. Das ist beinahe so lange her, wie die letzte Mondlandung.

Aber mein schlechtes Gewissen überstrahlt unser Glück. Denn seit wir das tun, haben wir die Grenze überschritten, die ich so dringend hatte einhalten wollen.

Jaja, das ist schon so. Kaum sind mal dreissig Jahre vergangen, tut man dann doch hin und wieder das ein oder andere, das man nicht hatte tun wollen. Klassischer Fall von shit happens. Und Frauenhirne sind ja komplexe Instrumente. Da kann es vom ersten Fremdvögeln bis zum ersten Gewissensbiss schon mal etwas länger dauern. Trotzdem sollten wir aber doch mal beim Guiness-Buch-Verlag anrufen, einfach so aus Interesse.

Gleich beim ersten Mal war ich so weit oben, so weit weg, daß mein Verstand mich einfach im Stich gelassen hat. Ich wollte nie wieder runterkommen, mein ganzes Leben lang.

Ich hab Dir also das Hirn aus dem Kopf gevögelt. Komplett. Mit drei Jahren. Ja, ich war schon damals ein Hengst, und konnte sie alle haben.

Wie armselig ist mein Eheleben, seit Jahren liegt er Abend für Abend neben mir und schaut sich Sportergebnisse auf Videotext an.

Nein, Ofenkartöffelchen, nicht seit Jahren. Seit Jahrzehnten. Drei Jahrzehnten, um präzise zu sein. Sag mal, gab es damals echt schon Videotext ? Meine Eltern haben mir damals Fernsehen verboten.

Er hat eine andere Romantik als Du und ich, steht auf Kerzenlicht, Strapse und Dessous. Das finde ich abgeschmackt. Manchmal begann ich ihn zu hassen, weil er meinem Glück so sehr im Weg steht.

Ja nee, is klar. Ist auch echt unfair von ihm. Es geht nix über Frottee-Schlafanzüge mit süssen kleinen Entchen drauf. Ich würde auch dreissig Jahre neben einer übergrossen Amöbe liegen und drauf warten, dass sie sich irgendwie in Luft auflöst. Tun die ja alle. Ständig.

Doch was soll ich jetzt tun? Ihn weiter belügen und betrügen? Ihn verlassen? Für Dich, einen „Jungen“, der mich in spätestens fünf Jahren verlassen wird?

Ja das ist wirklich schwer zu sagen. Es gibt Fragen, deren Antwort braucht nunmal ihre Zeit. Die Frage, ob die Kernfusion wirtschaftlich ist. Die Frage, wie alt Johannes Heesters werden wird. Oder Fragen wie Deine. Aber es gibt wirklich keinen besseren Termin, um sie sich erstmalig zu stellen. Man darf solche Sachen schliesslich nicht übereilen.

Doch ich bin zehn Jahre älter als Du, habe zwei Kinder. Oft frage ich mich: Warum habe ich Dich nicht früher getroffen? Warum habe ich meinen Mann überhaupt geheiratet? Warum ist er und nicht Du der Vater meiner Kinder?

Naja, damals warst Du 13, und ich war drei. Ich wollte einfach nicht so früh Vater werden.

Du hast mit 34 Dein Leben noch vor Dir, ich bin bereits mittendrin. In einem Leben, das ich mir selbst ausgesucht habe. Ein Leben mit finanzieller Sicherheit und familiärer Geborgenheit, die ich meinen Kindern nicht nehmen kann. Am Schluß hätte ich doch nur fünf Menschen unglücklich gemacht.

Du hast es Dir ausgesucht. Genau. Du hast es Dir ausgesucht, kurz nachdem Deutschland in München Weltmeister geworden war, und jeder Mensch einen Wackeldackel (und zwar den originalen Dackel in braun-blau) auf der Hutablage seines Ford Taunus hatte. Kurz nachdem der Vietnamkrieg zuende ging. Seither hast Du Deine Amöbe zweimal erfolgreich über Dich drüber rollen lassen, und die restlichen 10948 Nächte der Kettensäge zugehört. Das ist schon ne Leistung. Und zeugt von einem bewundernswerten Feuerwerk an Energie. Erstaunlich, dass ich so lange mit Dir mithalten konnte. Und als Zahnärztin muss man schon sehen wo man bleibt. Da auf eigenen Füssen zu stehen ist schon schwierig, das gebe ich zu.

Wenn wir jetzt keinen Schlußstrich ziehen, wird es immer weher tun, je länger wir warten. Obwohl ich weiß, daß ich in allen weiteren Frühlingen meines Lebens an Dich denken und mich nach dem Geschmack Deiner Küsse sehnen werde.

Ich weiss nicht. Ob nu nach 31, 45 oder 327 Jahren, ich glaub das macht das Kraut nicht fett. Aber ich konnte mit Deinem Esprit noch nie mithalten, also was soll ich dagegen argumentieren wollen.

Ich bitte Dich: Bitte suche mich nicht mehr nachmittags auf den Kinderspielplätzen unseres Stadtteils, ich werde „unsere“ Restaurants und Bars nicht betreten. Schicke mir keine SMS und keine E-Mail mehr, rufe nicht bei uns zu Hause an.

Nee, das mach ich eh nicht mehr. Karl-Heinz war letztes Mal schon fast misstrauisch, als ich ihn Dir ausrichten liess, ich hätte Deinen Ohrring hinter dem Sofakissen gefunden. Er hat mich tatsächlich gefragt, welchen, Du würdest seit den Siebzigern etliche davon vermissen.

Ich fühle mich verpflichtet, meine Ehe zu retten, egal, wie falsch und verlogen Dir das vorkommt. Wenn ich diesen Brief beendet habe, werde ich alle Deine Nummern löschen und hoffen, daß ich Dir niemals begegnen werde.

Neee, ich versteh das schon. Du musst das jetzt durchziehen. Schliesslich hast Du schon fast die Hälfte geschafft ! Hey, keine vierzig Jahre mehr, und Du bist im Ziel ! Und wenn Du Glück hast, wirst Du mit um die sechzig eh schwerhörig, dann hörst Du sein Geschnarche ja nicht mehr so laut. Das bisschen Zeit sitzt Du doch auf einer Backe ab. Schliesslich haben wir ja nicht nur ein Leben.

In aller Liebe, Lena
Ofenkartöffelchen, willst Du nicht noch mal kurz drüber nachdenken ? So bis 2027 ungefähr ?

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